Feste & Feiern
Wenn heute von politischen Festen und Feiern die Rede ist, denken viele sofort an Butterfahrten, langatmige Ansprachen oder bayerische Bierzelte. Auf die Idee, in solchen Festen Gelegenheiten zur Bestätigung einer kollektiven Identität zu sehen, würden heute nur die wenigsten kommen. Unsere Gesellschaft ist dafür zu stark ausdifferenziert und zu stark von inneren Widersprüchen durchsetzt, als dass außerhalb von Wahlkampfveranstaltungen eine nennenswerte Zahl an Menschen in politischen Festen und Feiern Orientierung und Sinnstiftung im Leben finden würde. Im Kaiserreich, zu Zeiten Bismarcks, und später, nach seinem Tod, war dies jedoch etwas völlig anderes.
Nationale Feiern im frühen und mittleren 19. Jahrhundert
Nationale Feiern haben eine lange Tradition im Europa des 19. Jahrhunderts. Als sich in Deutschland mit den Kriegen gegen Napoleon erstmals ein nationales Momentum zeigte, waren entsprechende Feste eine der stärksten Ausdrucksformen dieses immer weiter um sich greifenden Empfindens. Angefangen beim Wartburgfest von 1817 über das Hambacher Fest von 1832 und schließlich kulminierend in der freiheitlich-nationalen Revolution von 1848, wurde eine, auch in den deutschen Staaten, sich immer weiter aufschaukelnde Ereigniskette sichtbar.
Mit dem Scheitern der Revolution änderte sich jedoch der Charakter der Nationalfeste. Waren sie zuvor freiheitlich-romantisch geprägt, mit Deutschland als zu einigenden Nationalstaat als großes Ziel, ergaben sich nun neue Ziele. Zwischen 1848 und 1871 wurde Deutschland, wenn schon politisch nicht einig, als Kulturnation gefeiert, mit einer Sprache und gesamtdeutschen Künstlern wie Schiller, deren Verehrung ihren Ausdruck in gemeinsamen Feiern fand.
Nationale Feiern im Kaiserreich
Dieser Trend endete abrupt mit der gewaltsamen Einigung von 1870/71. Nun standen keine Künstler mehr im Mittelpunkt des Geschehens, sondern große Staatsmänner und der Monarch. Ebenso änderte sich der Charakter der Feiern entscheidend: Anstatt ein gesamtdeutsches Reich als höchstes Ziel anzustreben, galt es nun, dieses gegen innere und äußere Feinde zu verteidigen.
Bismarck und die übrige Staatsführung waren sich darüber im Klaren, dass das Deutsche Reich in vielen Gegenden nur oberflächlich existierte und als preußisch dominiert angesehen wurde. Umso wichtiger war es daher, gesamtdeutsche Feiern und Feste zu veranstalten, damit ein möglichst großer Teil der Bevölkerung sich mit dem neuen Reich identifizieren konnte.
Ein Beispiel hierfür ist der Sedanstag, der an den entscheidenden preußischen Sieg im deutsch-französischen-Krieg bei Sedan am 7. September 1870 erinnerte. Er wurde bereits 1871 das erste Mal gefeiert und erlangte im Laufe der Zeit eine enorme Popularität. Organisiert wurde er anfangs meist von Veteranenverbänden, die mit dem Volk in kollektiver Erinnerung an den großen Sieg Fackelzüge durchführten und Lieder sangen sowie Lobreden hielten.
Ein weiteres Beispiel sind die Bismarckfeiern, die schon zu des Kanzlers Lebzeiten im ganzen Reich mit Festreden, Festspielen und Gesang begangen wurden. Orte für diese Feiern waren zu seinen Lebzeiten Lokale oder große Säle, später dann extra gebaute Bismarcktürme oder Bismarcksäulen. Die Entlassung des Kanzlers tat diesen Festen ebenso wenig Abbruch wie sein Tod. Im Gegenteil, je länger die Regierungszeit des Wegbereiters der Einheit zurücklag, umso begeisterter wurden die Feiern.
Auch die Kaisergeburtstagsfeiern oder die Einweihungsfeierlichkeiten großer Denkmäler, die auf vergangene Großtaten der Deutschen hinwiesen, sind in diesem Kontext zu sehen. Beispiele hierfür sind das Niederwalddenkmal von 1883, das an die Einigung von 1871 erinnern sollte, oder das Völkerschlachtdenkmal von 1913, das den entscheidenden Sieg der Koalitionstruppen gegen Napoleon vom 18. Oktober 1813 feierte.
Bedeutung der nationalen Feiern
Mit diesem Rundumprogramm nationaler Größe wurden Deutsche, zumindest scheinbar, ohne Rücksicht auf Klassen- und Standesunterschiede zusammengebunden. Deutscher zu sein hatte nun eine höhere Bedeutung, jeder Bürger war Teil einer einzigen Nation mit einer gemeinsamen verbindenden Vergangenheit.
Aufgrund der zunehmenden Wichtigkeit der Feste, spielte der Staat eine wachsende Rolle bei der Durchführung, wodurch private Stifter und Vereine, die nach wie vor für die Organisation verantwortlich waren, teilweise an den Rand gedrängt wurden. Dies führte dazu, dass die Feste ihren ungezwungenen Charakter verloren und zu perfekt durchorchestrierten Veranstaltungen wurden, bei denen das Volk oft nicht mehr zu tun hatte, als einer gewaltigen Militärparade klatschend zuzusehen. Auch wurde der Aufbau immer größer und monumentaler, zumal die europäische Konkurrenz nicht schlief, denn derartige Feste waren Ende des 19. Jahrhunderts für viele mächtige Nationen Europas ein inhärenter Bestandteil der Sicherung ihrer eigenen Identität und der Abgrenzung zu anderen.
Form der nationalen Feste
Wie sahen solche Feste aus? Ein wichtiger Aspekt, unabhängig vom Anlass, bestand in einem Umzug bzw. Fackelmarsch, bei dem nationale Symbole, v. a. Fahnen, durch die Straßen getragen wurden. Später wurden die Umzüge durch Militärparaden ersetzt. Während des feierlichen Aktes selbst, der meist in großen Räumen oder in Gasthäusern abgehalten wurde, kam es üblicherweise zum Absingen nationaler Lieder, Hochrufen und, als Höhepunkt, zu einer Rede. Diese wurde zumeist von einer lokalen Respektsperson oder einem auswärtigen Experten gehalten, der es jeweils verstand, seine Zuhörer zu begeistern.
Auch die Rhetorik dieser Reden änderte sich im Kontext der Zeit, ein verbindendes Merkmal aber blieb ihre kämpferische Form. Vom 19. Jahrhundert bis in die NS-Zeit verfolgten die Redner stets das Ziel, einem bestimmten Gegner zu schaden oder ein kollektives Bewusstsein unter den Zuhörern zu konstruieren, etwa indem Bismarck als einigendes Element für die deutsche Nation hingestellt wurde.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass politische Feste und Feiern im Kaiserreich bzw. zu Bismarcks Zeiten einen enorm hohen Stellenwert bei der Festigung einer kollektiven Identität hatten. Durch sie wurde ein gesamtdeutsches Nationalbewusstsein etabliert, welches für viele Menschen zum Mittelpunkt ihres Lebens wurde.
Zur weiteren Lektüre:
Gebhardt, Winfriedt: Fest, Feier und Alltag. Über die gesellschaftliche Wirklichkeit des Menschen und ihre Deutung. Frankfurt a.M. 1987.
Miklautz, Elfie: Feste. Szenarien der Konstruktion kollektiver Identität. In: Kopperschmidt, Josef und Schanze, Helmut (Hrsg.): Fest und Festrhetorik. Zu Theorie, Geschichte und Praxis der Epideiktik. München 1999.
Schellack, Fritz: Sedan- und Kaisergeburtstagsfeste und Düding, Dieter: Das deutsche Nationalfest von 1814: Matrix der deutschen Nationalfeste im 19. Jahrhundert. In: Düding, Dieter, Friedemann, Peter und Münch, Paul (Hrsg.): Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg. Reinbek 1988.
Fabian Klopfer
Bismarck-Geburtstage im Laufe der Zeit
Vor allem die späten Geburtstage Bismarcks wurden oft von öffentlichen Feierlichkeiten und Festreden begleitet. Dabei änderten sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mehrfach grundlegend: Bismarcks Geburtstag wurde zu seinen Lebzeiten, während des Ersten Weltkrieges, in der Weimarer Republik und auch im Nachkriegsdeutschland öffentlich begangen – doch die Art und Weise, in der an Bismarck erinnert wurde, wandelte sich mit der Zeit erheblich.
1892
In den frühen 1890er Jahren ist Bismarck noch am Leben. Sein Werk, die Einheit Deutschlands, ist aber bereits vollendet. Die Redner jener Zeit sehen sich als Gewinner der Geschichte an. Auch die Entlassung Bismarcks im März 1890 sorgte nicht dafür, dass der Wegbereiter dieser als historisch nahezu einmalig empfundenen Entwicklung nachteilig gesehen wird.
1915
1915, zu Bismarcks hundertsten Geburtstag, ist dieser bereits 17 Jahre tot. Das Reich, welches er geschaffen hat, ist seiner härtesten Bewährungsprobe ausgesetzt, dem Ersten Weltkrieg. Entsprechend gehen die Redner dieses Jahres vor allem in diesem Kontext auf das feierliche Ereignis ein. Man fragt sich, was wohl Bismarck getan hätte. Die Begeisterung für ihn ist womöglich noch stärker.
Weimarer Republik
Das Kaiserreich, Bismarcks Lebenswerk, ist untergegangen. Die von ihm stets mit Verachtung betrachteten Parteien stellen die Regierung. Redner dieser Zeit, in erster Linie Revanchisten, betonen die Großartigkeit von Bismarcks Ära im Vergleich zur aktuellen, Demokratie und Parteienstaat werden gering geschätzt. Gleichzeitig findet in rechten Kreisen der Aufstieg der völkischen Bewegung statt.
1965
Zu Bismarcks 150. Geburtstag besitzen die Feierlichkeiten keinerlei tagesaktuellen Bezug mehr. NS-Herrschaft und der Zweite Weltkrieg haben Bismarck aus dem unmittelbaren Gedächtnis der Zeitgenossen gestrichen. Er wird in den Reden als Person der Geschichte betrachtet, man würdigt seine Leistungen, ist aber auch um eine kritische Distanz bemüht. Es ist kein kämpferisches Element mehr in den Reden enthalten.