Zu seinem 100. Geburtstag am 1. April 1915 wurde Bismarck in zahllosen populärwissenschaftlichen Publikationen, Bildbänden und Gedächtnisfeiern zum Schutzheiligen der deutschen Truppen ausgerufen.↓1 Man kann es geradezu als einen Akt der „geistigen Mobilmachung“ bezeichnen, der in Kunst, Publizistik und Politik losgetreten wurde. ↓2 Das Bismarck-Jahr 1915 war, was Biographien des „Eisernen Kanzlers“ betrifft, sehr lukrativ. Der Markt wurde überschwemmt von Werken, in denen Bismarck als ein nicht zu erreichendes Vorbild stilisiert wurde. ↓3
Biographien
Biographien, die als individuelle Lebensgeschichte, die sowohl den äußeren Lebenslauf als auch die geistige psychische Entwicklung umfasst, beschrieben werden, stellen das Leben eines Individuums in seinem historisch-sozialen und kulturellen Kontext dar.↓4 Die Form der biographischen Darstellung, die im Hellenismus und der römischen Kaiserzeit ihren Anfang nahm, erhielt erst ca. 500 n. Chr. ihren Namen. Über das Mittelalter mit seinen Viten und Gestae wurde sie im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert zur literarischen Gattung. Im 19. Jahrhundert entstand die wissenschaftliche Biographie. Getreu dem Historismus rückten die „Männer der That“ in den Vordergrund, die „die großen Machtkämpfe der Geschichte entschieden“ (Heinrich von Treitschke).↓5
Nationsbildung
Historische Biographien tragen zur Bildung der Nation bei. Die Nation lässt sich als eine kollektive Identität verstehen, die durch eine soziale Kommunikation entsteht und immer neu reproduziert werden muss.↓6 Die Feierlichkeiten zu Bismarcks einhundertstem Geburtstag können aus dieser Perspektive betrachtet werden, da sich Feste und Feiern im Allgemeinen sehr gut für die Entstehung nationaler und nationalisierender Kommunikation eignen.↓7 Auch wenn die Feierlichkeiten aufgrund des Krieges kleiner ausgefallen waren als geplant, waren sie, auf das Reich bezogen, ein durchaus beachtenswertes Ereignis. Es gab 1915 eine groß angelegte Berichterstattung in den Zeitungen, die es den Beteiligten ermöglichte, die Größe und Bedeutung dieser Feierlichkeiten für die Nation wahrzunehmen.
Bei den zwei hier ausgewählten Biographien handelt es sich um das wissenschaftliche Beispiel „Otto von Bismarck – Ein Lebensbild“ des Historikers Erich Marks und um ein populäres Werk: „Der eiserne Kanzler – Ein Lebensbild für das deutsche Volk“ von dem Autor Arnold Stiebritz.
↓Fussnoten
1 Gerwarth, Robert: Der Bismarck-Mythos. Die Deutschen und der eiserne Kanzler, München 2007, S. 37.
2 Machtan, Lothar: Bismarck-Kult und deutscher National-Mythos 1890-1940, in: ders.: Bismarck und der deutsche National-Mythos, Bremen 1994, S. 31.
3 Hering, Rainer: „Dem besten Steuermann Deutschlands“. Der Politiker Otto von Bismarck und seine Deutung im radikalen Nationalismus zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“, Friedrichsruh 2006, S. 28.
4 Szöllösi-Janze, Margit: Biographie, in: Stefan Jordan (Hrsg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2002, S. 44.
5 Zitiert nach ebd. S. 46.
6 Logge, Thorsten: Zur medialen Konstruktion des Nationalen. Die Schillerfeiern 1859 in Europa und Nordamerika, Göttingen 2014. S. 13.
7 Ebd. S. 16-18.