Der Bismarck-Mythos auf Postkarten

„Am 20. März 1890 wurde Otto von Bismarck als Kanzler des Deutschen Reiches und Preußischer Ministerpräsident entlassen“.↓1 Ein großes Bedauern in der Öffentlichkeit über die Entlassung des Kanzlers war nicht zu vermerken. Das änderte sich jedoch mit fortschreitender Zeit, denn je länger die Entlassung Bismarcks zurücklag und je mehr Kritik am „neuen Kurs“ der Innen- und Außenpolitik geäußert wurde, desto größer wurde die Hochachtung vor Bismarck. Ein entscheidender Faktor für die Wandlung des Bismarckbildes in der Öffentlichkeit war die verbreitete Ablehnung der Politik seines Nachfolgers Leo von Caprivi.↓2 Ebenfalls richtete sich die Kritik der Öffentlichkeit gegen das Regiment des Kaisers Wilhelm II.↓3 Dieser Stimmungswandel führte zu einer „beispiellosen Verehrung“↓4 Bismarcks in der Öffentlichkeit, die sich nach seinem Tod am 30. Juli 1898 verstärkte.↓5 Denkmäler, Bismarcktürme und viele andere Ehrenmale wurden eingeweiht, um an Bismarck zu erinnern und ihn zu ehren.

Als Deutschland im August 1914 in den Krieg zog, wurde der Bismarck-Mythos „fester Bestandteil der Kriegspropaganda“.↓6 Besonders Postkarten und Münzen waren bestens dazu geeignet, Bismarck als Symbolfigur darzustellen und um den Mythos um ihn weiter zu reproduzieren. Die Postkarte wurde in Massen hergestellt, dies war optimal für die Verbreitung des Mythos. Die Bismarck-Mythisierung mit ihm als Symbolfigur war wirkmächtig, da viele der ihm zugesprochenen Charaktereigenschaften instrumentalisiert wurden, um die Bedürfnisse und Sehnsüchte in der gesamten Bevölkerung zu stillen. Dabei stehen viele Wesensarten und Tätigkeiten in Korrelation zu einander, wie beispielsweise „Deutschtum“ und „Preußentum“ oder „Bismarck als Staatsmann“ und „Bismarck als Zivilperson“, dementsprechend konnte der Mythos auf viele Menschen in der Bevölkerung projiziert werden.

„Bismarck in Uniform“

Bismarck in Uniform

Bismarck in Uniform

Diese Karte wurde vom G.O.M. Verlag herausgegeben. Es ist die Postkarte Nummer: 2232. Sowohl zum Verlag als auch zum Künstler finden sich keine Angaben.

Die Bildseite der Postkarte zeigt ein Portrait Otto von Bismarcks in seiner Kürassieruniform. Die Karte wurde vorwiegend in hellen Tönen gedruckt. Es ist eine feierliche Postkarte aus Anlass des 100. Geburtstags des Altkanzlers (1815- 1915). Direkt unter dem Portrait wurden das Eichenlaub und die Lorbeeren platziert. Diese werden von einer schwarz-weiß-roten Schleife, die offiziellen Farben der deutschen Flagge, zusammengehalten. Die Karte wird zudem durch ein Zitat von Bismarck und durch seine Unterschrift verziert: „Wir Deutschen fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt“.

Auf Postkarten wurde der erste Teil des Zitates aus seiner Reichstagsrede im Jahre 1888 für die Kriegspropaganda instrumentalisiert: „Wir Deutsche fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt“. Der zweite Teil des Zitates: „Und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen lässt“- blieb dabei wohlweislich unerwähnt; wie schon seit Bismarcks Reichstagsrede vom Februar 1887.↓7 Denn dieser Teil enthält Wörter wie „Furcht“ und „Frieden“, die nicht unbedingt als Kriegs-Propaganda funktionieren. Zu Beginn des Krieges wurde Bismarck als militärische Führungsperson dargestellt, um Kampfbereitschaft und Siegesgewissheit zu suggerieren.↓8 Denn am Anfang des Krieges waren die Menschen voller Zuversicht, dass der Krieg mit dem Sieg Deutschlands enden würde, wie der Deutsch- Französische Krieg von 1870/71.

Bismarcks 100. Geburtstag fiel in die Zeit des Ersten Weltkrieges. Es fehlte das Geld, um teure Denkmäler in der üblichen Art einzuweihen.↓9 Dementsprechend mussten Druckerzeugnisse, zu denen auch die Postkarte gehörte, herhalten, „um die Siegeszuversicht zu erhalten“.↓10 Diese Karte wurde ebenfalls zum Jubiläum in Auftrag gegeben. Auf vielen Postkarten prägten sein Konterfei und Zitate das Bild, um den Fokus gänzlich auf Bismarck zu lenken, wie auch auf dieser Karte. Auf Anton von Werners Gemälde von der Kaiserproklamation des Wilhelm I. im Jahre 1871, trug Bismarck ebenfalls die Kürassieruniform. Im Gemälde richtete die weiße Uniform ebenso den Fokus auf Bismarck.

Die Postkarte ist sehr „festlich“ und in hellen und „freundlichen“ Farben verziert. Das Eichenlaub und die Lorbeeren in Mitten der Postkarte versinnbildlichen sowohl traditionelle als auch antike Machtsymbole. Im antiken Griechenland und Rom war die immergrüne Farbe der Lorbeeren ein Zeichen für Unsterblichkeit und die Symbolik der Lorbeeren stand für den Sieg und für den Erfolg. Diese Symbolik gilt auch für das Eichenlaub, die zusätzlich als „deutscher“ Baum das Gefühl von nationaler Einheit demonstriert. Die Unterschrift Bismarcks suggeriert etwas Persönliches und etwas Echtes.

Die Rückseite der Postkarte ist unbeschrieben.

„Bismarck als Privatmann“

Bismarck als Privatmann

Bismarck als Privatmann

Raphael Tuck and Sons series „Bismarck” No. 529. Hoflieferant des englischen Königshauses. Raphael Tuck wurde in Koschmin bei Breslau geboren und wanderte im Jahre 1865 mit seiner Familie nach England aus. Dort gründete er einen Verlag für Glückwunsch- und Kunstpostkarten.

Die Bildseite der Postkarte zeigt Bismarck im fortgeschrittenen Alter als Portrait gezeichnet, ebenso wurde er auf dieser Karte in privater Kleidung und nicht uniformiert dargestellt. Die Postkarte trägt die Signatur des Künstlers „Willi Scheu[er]“.

Da Bismarck als ältere und private Person veranschaulicht wird, sind seine Gesichtszüge weicher und dezenter sind als auf anderen Karten. Dementsprechend suggeriert diese Karte ein väterliches oder großväterliches Erscheinungsbild. Bismarck wurde zu Beginn des Krieges überwiegend als uniformierte, militärische Führungsperson dargestellt.↓11 Damit sollte die Moral und der Kampfgeist der Soldaten bestärkt werden. Diese Postkarte wurde jedoch von einem englischen Verlag in Auftrag gegeben, diese hatten kein Interesse den Kampfgeist der deutschen Soldaten zu fördern. Ebenso hatte Bismarck im Ausland ein diplomatisches Ansehen, das nicht unbedingt militärischer sondern eher politischer Natur war. Der Fokus dieser Karte liegt auf Bismarck als einzelner Person, dementsprechend werden keine Soldaten oder Kriegsgeräte dargestellt. Die Entscheidung für dieses Motiv könnte mit der Publikumserwartung des  ausländischen Verlages zusammenhängen.

Die Rückseite der Postkarte

Die Rückseite der Karte zeigt den Firmennamen, das Wappen des englischen Königs und kurze biografische Angaben über Bismarck, die auf Deutsch geschrieben wurde.

 

 

Die Adresszeile:

Der Absender dieser Postkarte war eine Frau namens Lilly. Die Karte wurde auf Mittwochabend den 3. April 1918 um 8 3/ 4 Uhr in Hamburg datiert. Der Empfänger war der Kanonier Walter Pläge. Die Karte wurde als Feldpost in das Feld- Artillerie Regiment 56., 2. Abteilung, 4. Batterie nach Posen geschickt.

 

Handschriftliche Mitteilung:

„Mein Lieb! Es sendet dir ganz innige Grüße und Küsse dein kleiner Liebling Lilly“

 

Bismarck als „väterlicher Beschützer“

Die Verfasserin dieser Postkarte, hat sich für ein nichtmilitärisches Motiv entschieden, obgleich die Karte als Feldpost in Zeiten des Krieges geschickt wurde. Die Karte instrumentalisiert Bismarck als väterliche oder großväterliche Person, die Liebesgrüße an den Ehemann oder den Lebensgefährten überbringen sollte. Diese könnte ebenfalls eine beschützende Funktion gehabt haben.

Kriegsereignisse an der Ostfront

Der Kanonier Walter Hägl wurde an der Ostfront in Posen stationiert. Am 3. März 1918 in der Stadt Brest- Litowsk unterzeichnete eine revolutionäre russische Delegation einen Friedensvertrag mit Deutschland.↓12 Beflügelt durch den Erfolg an der Ostfront wollte General Erich Ludendorff mit Großoffensiven im Frühjahr und Sommer 1918 ebenso an der Westfront den Durchbruch erzielen. Somit musste ebenfalls auf die im Osten stationierten Divisionen zurückgegriffen werden. Der Beginn der ersten Offensive am 21. März 1918 hatte eine erhebliche Zuversicht bei den Soldaten geweckt.↓13 Diese Mobilisierungswirkung brachte den kriegsmüden Soldaten den „Geist von 1914“ zurück, um endlich durch einen Sieg den ersehnten Frieden zu erreichen.↓14

„Hindenburg, Bismarck und Kaiser Wilhelm II.“

Hindenburg, Bismarck und Kaiser Wilhelm II.

 

Zum Verlag und zum Künstler finden sich keine Angaben.

Die Bildseite der Postkarte zeigt ein kleines Mädchen, dass ein großes Portrait von General von Hindenburg küsst. Das Portrait ist von schwarz-weiß-roten Schleifen geschmückt. Auf der Seite des Portraits ragt das Eichenlaub hervor. Auf der Kommode sind zwei kleine Portraits, das eine ist eine Darstellung von Bismarck und das andere von Kaiser Wilhelm II. Ebenfalls auf der Kommode ist ein kleiner Rosenstrauch, der mit einem schwarz-weiß-roten Banner verziert wurde. Auf dem Stuhl befinden sich drei Puppenmarionetten von Soldaten der Entente-Mächte.

Auf dieser Karte küsst das Mädchen General Hindenburg und schenkt ihm zu seinen Ehren Blumen. Der Fokus liegt in der Darstellung Hindenburgs, denn die Bilder von Bismarck und Kaiser Wilhelm II. sind eher kleiner. Auf dieser Karte wird Hindenburgs steigende Beliebtheit deutlich. Der Sieg der deutschen Truppen an der Ostfront über die russischen Streitkräfte bei der „Schlacht von Tannenberg“ vom 26. bis 30. August 1914 machten den Oberbefehlshaber der 8. Armee Paul von Hindenburg und seinen Generalstabschef Erich Ludendorff zu „beinahe ungreifbare(n) Nationalhelden“.↓15 „Ab August 1916 sollten Hindenburg und Ludendorff, als „Doppelspitze“ mit militärischem Geschick, den Kriegsverlauf Deutschlands prägen.↓16 Hindenburg hatte eine erfolgreiche, traditionell-militärische Laufbahn durchlaufen, stammte aus altem Adel und war „zutiefst“ konservativ.↓17 Die Instrumentalisierung Bismarcks wird durch Hindenburg in dieser Traditionslinie ergänzt, dementsprechend eignet er sich durch seine steigende Beliebtheit ebenso gut wie Bismarck für Propaganda.

Die Karte ist durch Schleifen und Banner in Schwarz-weiß-rot verziert, was einen „festlichen“ und„nationalen“ Charakter darstellt. Die Spielzeugmarionetten sind in französische, deutsche und englische Uniformen gekleidet. Das Kind, welches mit den Soldaten spielt und diese wie Marionetten behandelt, könnte als Germania interpretiert werden. Ebenso könnte die kindliche Darstellung Hindenburgs Beliebtheit im ganzen Volk interpretieren und nicht nur bei den Soldaten. Das Eichenlaub symbolisiert traditionelle Macht und suggeriert Sieg und Erfolg.

Die Rückseite der Postkarte

Auf der Rückseite der Postkarte steht: „ O du mein Hindenburg“ gedruckt.

 

 

 

Die Adresszeile:

Der Empfänger dieser Karte war: Werhm Mertens, 17. Reserve Armeekorps, 85. Landwehr Division, Landsturm Infanterie Regiment 61., II. Bataillon, 5. Kompanie, Generalgovernement Graudenz, im Osten zur Zeit im Felde. Kray 17.4.16

 

Handschriftliche Mitteilung:

„Lieber Albert. Herzl. Ostergrüße sendet dir Wilhelm & Dina. Wie geht es dir denn, hoffentlich noch sehr gut welches Du auch von uns erwarten kannst. Hoffentlich Kommst Du recht bald wieder. Nochmals Gruß dein Kousin

Wilhelm & Bernadine“.

 

Die Verehrung Hindenburgs

Diese Postkarte wurde an ein Familienmitglied von einem Cousin geschickt und übermittelte Ostergrüße. Der Verfasser hat sich für ein Hindenburg-Motiv entschieden. Der Fokus dieser Karte liegt in der Verehrung Hindenburgs und könnte etwas sein, was diese Familie miteinander verbindet. Es ist sowohl möglich, dass die Verehrung generationsübergreifend ist oder von der gleichen Generation geteilt wurde. Da das Familienmitglied sich auf dem Schlachtfeld befindet, drückt der Inhalt dieser Karte nicht nur Grüße und den Wunsch nach Wohlergehen von der Familie aus, sondern auch Nationstreue und Siegeszuspruch für die Soldaten.

Wirkmächtige Kriegspropaganda

Hindenburg in seiner Uniform war ein sehr wirkmächtiges Propaganda Objekt, sowohl für den Verfasser, als auch für den Soldaten auf dem Schlachtfeld. Denn durch hohe Verluste und die Niederlagen an der Westfront, wurde auch der Wunsch nach dem Wohlergehen der Soldaten an der Ostfront verstärkt. So wurden durch die Ablösung von General Falkenhayn durch Hindenburg und Ludendorff die Siegeszuversicht und die Moral der Soldaten an beiden Fronten gesteigert.

Kleine Einleitung: Tradition/ Traditionslinie

Das „Nicht- Erreichen“ der militärischen Ziele hatte dem Bismarck- Mythos offenbar nicht geschadet. Im Gegenteil, der Mythos wurde weiterhin für Propagandazwecke verwendet.18 In Bismarcks Traditionslinie kamen jedoch neue Akteure hinzu. So wurde in dieser Zeit der erfolgreiche General Hindenburg häufig neben Bismarck auf Postkarten platziert. Hindenburg, dessen körperliche Gestalt der von Bismarck sehr ähnelte, avancierte zum beliebten Nachfolger der Propaganda. Er bekam immer mehr Raum auf den Darstellungen der Postkarten.↓19 Bezüglich der Zitate auf den Karten hatte sich jedoch nichts geändert. Bismarcks Ausspruch, „wir Deutsche(n) fürchten Gott, sonst nichts in der Welt“ war und blieb die populärste Kriegsparole.↓20 Kaiser Wilhelm II. wurde ebenfalls mit dem Bismarck- Spruch dargestellt. Der Konflikt zwischen beiden Männern geriet in Vergessenheit, und es wurde auf den Postkarten eine Einheit suggeriert, die niemals vorhanden war.↓21

↓Fußnoten:

1. Gerwarth, Robert: Der Bismarck- Mythos; Die Deutschen und der eiserne Kanzler, München 2007, S. 21.
2. Ebd., S. 22.
3. Ebd., S. 23.
4. Althammer, Beate: Das Bismarckreich 1871- 1890, Paderborn 2009, S. 248.
5. Ebd., S. 248.
6. Gerwarth, Robert: Der Bismarck- Mythos; Die Deutschen und der eiserne Kanzler, München 2007, S. 36.
7. Althammer, Beate: Das Bismarckreich 1871- 1890, Paderborn 2009, S. 221.
8. Ebd., S. 213.
9. May, Otto: Bismarck und sein Mythos auf Postkarten, Hildesheim 2014, S. 221.
10. Ebd., S. 221.
11. May, Otto: Bismarck und sein Mythos auf Postkarten, Hildesheim 2014, S. 213.
12. Bruendel, Steffen: Ideologien: Mobilmachung und Desillusionierungen, in: Erster Weltkrieg Kulturwissenschaftliches Handbuch, Niels Werber, Stefan Kaufmann (Hrsg.) u.a., Stuttgart 2014, S. 308.
13. Bruendel, Steffen: Ideologien: Mobilmachung und Desillusionierungen, in: Erster Weltkrieg Kulturwissenschaftliches Handbuch, Niels Werber, Stefan Kaufmann (Hrsg.) u.a., Stuttgart 2014, S. 308.
14. Ebd., S. 308.
15. Ebd., S. 177.
16. Ebd., S. 177.
17. Ebd., S. 177.
18. May, Otto: Bismarck und sein Mythos auf Postkarten, Hildesheim 2014, S. 224.
19. Ebd., S. 226.
20. Ebd., S. 227.
21. Ebd., S. 228.